
Mit dem Nachtzug nach Chiang Mai
Heute steht meine wohl größte, ganz persönliche Herausforderung auf dieser Reise an. Heute Abend werden wir mit dem Nachtzug von Bangkok nach Chiang Mai fahren. Als kleiner Hygiene-Monk und Haar-Phobiker bin ich ziemlich gespannt auf die Betten im Zug.
Bevor es losgeht, müssen wir uns noch ein wenig die Zeit vertreiben. Und zwar mit Gepäck. Wir verlassen das Hotel gegen 13 Uhr, der Zug wird (hoffentlich) um 19.35 Uhr in Richtung Norden starten. Mit dem Taxi fahren wir rund 30 Minuten zum Lumpini Park – ehe wir Bangkok verlassen, ist ein Abstecher in den Park ein Muss. Bei einem Abstecher bleibt es nicht: Wir stellen die Rucksäcke ab, breiten unser Tuch aus und lesen, schlafen, essen, beobachten die Menschen um uns herum oder bemühen den Rätselblock (naja, ich zumindest). Zuvor haben wir überlegt, das Gepäck abzugeben – im MBK Center gibt es wohl ein Geschäft, das das Gepäck aufbewahrt. Wir haben uns gegen die Gepäckaufbewahrung und stattdessen für einen entspannten Tag im Park entschieden. Ohne von A nach B laufen zu müssen.

Die Stunden vergehen wie im Flug. Um auf jeden Fall pünktlich zu sein, machen wir uns gegen 17 Uhr mit dem Skytrain auf in Richtung Bahnhof. Nach wenigen Minuten und nur zwei Stationen erreichen wir die gewölbte Bahnhofshalle des Hua-Lamphong-Bahnhofes, deren Kopfende verschiedene royale Porträts zieren. Wir lassen uns auf zwei der vielen violetten Stühle nieder. In der Halle findet man einige kleine Geschäfte: einen Minimarkt, zwei bis drei sehr einfache Essensausgaben, einen Donutstand. Unsere Tickets haben wir schon in Deutschland gekauft – wer spontan sein möchte, kann sich an einem der vielen Schalter eine Fahrkarte besorgen.
Vor der 13-stündigen Nachtfahrt sollten wir noch eine Kleinigkeit zu Abend essen. Wir verlassen die Bahnhofshalle noch einmal und betreten deren Vorplatz. Es ist ganz schön was los. Um den halbrunden Platz liegen einige Restaurants und Geschäfte. Wir entscheiden uns für das „511 Café“ – eine gute Wahl. Man merkt sofort, dass wir uns unmittelbar am Bahnhof befinden: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen einwandfrei Englisch. Keine Selbstverständlichkeit. Etwa 45 Minuten vor Abfahrt machen wir uns auf den Weg zu Gleis 6, unser Zug steht schon auf den Schienen. Angestellte reinigen den staubigen Zug, indem sie ihn mit Wasser aus dicken Schläuchen abspritzen. Die Nervosität steigt – eine halbe Stunde vor Abfahrt mischt sich Vorfreude dazu.

Gebucht haben wir die Betten von Deutschland aus über asia-discovery.com. Der Vorgang war einfach und anstelle einer automatisch generierten E-Mail bekamen wir eine persönliche Antwort von der sehr netten Kitima. Sie bestätigte unsere Buchung und außerdem, dass sie die Zugtickets in unser Hotel bringen würde. Das hat übrigens super geklappt – die Tickests haben in einem Umschlag an der Rezeption auf uns gewartet. Für die Fahrt in der klimatisierten zweiten Klasse von Bangkok nach Chiang Mai bezahlen wir zusammen etwa 62 Euro. Gebucht sind ein lower bed sowie ein upper bed, schließlich möchten wir in derselben Kabine schlafen. Für eine 13-Stunden-Fahrt hätten wir uns durchaus die erste Klasse mit eignem kleinen Abteilen gegönnt – die war allerdings schon ausgebucht.
Jetzt wird’s ernst:
Wir betreten den Zug und suchen unsere Plätze. Vor uns erstreckt sich ein schier endloser schmaler Gang, eingekleidet mit beigen Linoleum. Links und rechts davon metallerne Leitern, die zu den oberen Betten führen. Unter den Betten Sitzbänke aus braunem Leder, an der Decke silberne Ventilatoren. Wir finden unsere Nische – von einer Kabine kann man eigentlich nicht sprechen – und setzen uns auf die sich gegenüberliegenden Polsterbänke. Ganz schön aufregend. Der Zug füllt sich nur langsam. Die Angestellten wuseln umher, einer drückt uns eine eingeschweiße Speisekarte in die Hand, ein anderer verteilt Bündel aus weißen Päckchen neben den Betten. Es geht’s los, der Zug setzt sich ratternd in Bewegung. Auf der Bank auf der anderen Seite des Ganges sitzt eine lächelnde Thai, die sich zuvor wohl von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter verabschiedet hat. Nach rund 30 Minuten werden wir von unseren Bänken gescheucht – sie werden hochgeklappt, zusammengeschoben und so zu einer Liegefläche umfunktioniert. Der Zug-Mitarbeiter richtet sowohl das obere, als auch das untere Bett her. Die weißen Päckchen kommen zum Einsatz: Er zieht Leintuch, Kissen und Decke aus den zugeschweißten Plastiktüten und nach kurzer Zeit sind die Betten „bezugsfertig“. Wir bleiben noch ein Weilchen auf meinem – dem unteren – sitzen. Mit Keksen, Wasser und einem Singha-Bier läuten wir die nächsten Stunden ein, bevor sich jeder von uns Schlafen legt. Für ein wenig Privatsphäre sorgen blaue Vorhänge.
Ich bin positiv überrascht. Alles ist sehr sauber – das Bettzeug, aber auch der Rest des Zuges. Von der Toilette sollte man natürlich nicht zu viel erwarten, das ist klar. Ein Loch im Boden, unter dem das Gleisbett vorbeizieht, flankiert von zwei Ovalen für die Füße. Am Abend ist es auch dort noch sehr sauber, am nächsten Morgen hieß es dann schon „Luft anhalten“. Aber auch das gehört dazu, für Thailand nicht ungewöhnlich.
Ich mache es mir in langer Stoffhose und Sweatshirt gemütlich, die Klimaanlage kühlt die Luft ganz schön runter. Auf den zusammengeschobenen Sitzbänken liegt es sich erstaunlich gut. Mein Rucksack liegt übrigens quer an meinem Fußende, Philips Rucksack liegt oben auf einem extra dafür vorgesehenen Gitter. Unsere Wertsachen haben wir im Pacsafe verstaut und an der Metallleiter festgemacht. Draußen ist es längst dunkel, ich döse ein wenig vor mich hin, während Philip noch nicht schlafen kann und auf Entdeckungstour durch den Zug geht.
Nach wenigenn Minuten wird es irgendwie unruhig vor meinem Vorhang – ich ziehe ihn ein Stück zur Seite und sehe, wie Philip mit einem Zugpolizisten diskutiert. Offensichtlich kontrolliert er seinen Rucksack. Ich bin verwirrt. Des Rätsels Lösung: Der Polizist hat Philip auf seinem Ausflug durch den Zug mit einer Dose Bier gesehen. Und Alkohol ist seit nicht allzulanger Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln strengstens verboten. Wir können dem Beamten glaubhaft vermitteln, dass wir davon nichts wussten und weitere Dosen haben wir auch nicht dabei – die Situation beruhigt sich schnell wieder. Nach kurzer Internetrecherche finden wir heraus, dass ein stark alkoholisierter Mann einen anderen in einem Zug umgebracht haben soll. Puh, ganz schön viel Aufregung auf die Nacht. Jetzt heißt es aber endlich: Augen zu.
Die Nacht ist in Ordnung. Natürlich schläft es sich in einem fahrenden Zug, in dem es auffällig stark nach Diesel riecht und in dem man von Fremden umgeben ist nicht so gut wie im eigenen Bett. Aber es war wirklich angenehmer als ich es mir vorgestellt hatte: Unter der Decke war es muckelig warm und es war relativ still, sodass es mir immer wieder gelungen ist, ein zwei Stündchen durchzuschlafen. Und eine ganz persönliche Erkenntnis: Es war überhaupt nicht gruselig. Denn ich muss zugeben, dass ich mich mit dem Gedanken, mit dutzenden anderen Menschen in einem „offenen“ Zug zu schlafen, bis zum Schluss nicht hundertprozentig anfreunden konnte – zu Unrecht. Gegen 6.30 Uhr kehrt Leben in den Zug zurück. Es wird heller, lauter, trubeliger. Während ich noch ein bisschen verschlafen drein schaue, geht es vor meinem Vorhang schon lebhafter zu. Menschen laufen umher, ziehen die „Betten“ ab, an den beiden Waschbecken neben der Toilettentür putzen sich einige sporadisch die Zähne – wir schließen uns an. Kurz darauf kommt auch schon ein Mitarbeiter vorbei, der das Bettzeug einsammelt und das untere Bett wieder in die gepolsterte Sitzbank verwandelt.
Das Beste kommt zu Schluss, oder wie war das? Neben dem Erlebnis als solches war es wohl mein Highlight der 13-stündigen Reise: Der wunderschöne Blick aus dem fahrenden Zug heraus. Wir tigern ein wenig durch die Abteile. Im Speisewagen sind die Fenster geöffnet, das Sonnenlicht taucht den schnöden Linoleumboden in einen freundlicheren Ton, der Fahrtwind pfeift durch den Wagen. Einen Schal sollte man sich um den Kopf wickeln, wenn man den Kopf zum Fenster rausstreckt – es ist ziemlich kühl draußen, der Wind tut sein übriges. Wir fahren vorbei an dichten Wäldern, kleinen Orten und weiten Feldern, auf denen der ein oder andere Wasserbüffel faul herumliegt. Nach einer Weile kehren wir an unseren Platz zurück. Die verbleibende Stunde verbringen wir damit, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten.
Chiang Mai erreichen wir recht pünktlich um kurz vor 9 Uhr.
Mein Fazit? Einfach mal machen! Wir sind um eine Erfahrung reicher, die ich definitiv nicht missen möchte. Auf die Angebote der vielen Taxifahrer vor dem Bahnhof gehen wir nicht ein. Stattdessen machen wir uns samt Gepäck zu Fuß auf zu unserem Hotel in Chiang Mais Altstadt – nach etwa 40 Minuten werden wir dort sein. Und nocheinmal die Äuglein schließen …
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