
Plymouth – von wegen hässliches Entlein
Plymouth hat – zumindest, wenn man einigen Stimmen im Netz traut – einen eher mittelguten Ruf. Völlig zu Unrecht, wie ich finde. Sicher, die Innenstadt ist wirklich keine Augenweide. Aber ich frage mich oft, was Tourist*innen von Großstädten erwarten. Mit seinen knapp 265.000 Einwohner*innen ist Plymouth etwas kleiner als Karlsruhe. Ich kenne keine Stadt in der Größenordnung, die ausschließlich aus Altstadt, netten Gässchen und süßen Cafés besteht. Es gibt immer auch Betonklötze, Hauptverkehrsstraßen und eher unschöne Ecken. So auch in Plymouth. Dafür ist die Gegend um den Hafen wunder-, wunderschön. Der Hafen spielt hier sowieso eine bedeutende Rolle, denn in Plymouth liegt die die königlich-britische Marinewerft, außerdem ist der Marinestützpunkt „Devonport“, der im westlichen Teil der Stadt liegt, der größte seiner Art im Westen Europas.
Aber von vorn. Von unserem Ausgangspunkt aus, dem kleinen Örtchen Sydenham Damerel, fahren wir etwa 40 Minuten nach Plymouth. Dabei überqueren wir die Tamar Bridge und damit den Fluss Tamar – dabei fallen Maut-Gebühren von 2,60 Pfund an. Allerdings nur Richtung Osten. Bezahlt werden kann in Bar oder mit Karte. Es gibt außerdem eine Alternativroute, die unwesentlich länger ist. Wir hatten im Vorfeld aber gelesen, dass es sich lohne, die Brücke zu passieren. Und in der Tat schindet sie ziemlich Eindruck. Die Brücke erinnert ein wenig an die Golden Gate Bridge – aber das tut vermutlich jede große Hängebrücke irgendwie. Sie wurde 1961 feierlich durch die Queen Mum eröffnet und war die erste Konstruktion ihrer Art Großbritanniens nach dem zweiten Weltkrieg. Ende der 1990er Jahre wurde sie aufwändig umgebaut, da sie den EU-Anforderungen für große Lasten nicht mehr entsprach. Diesmal übernahm Prinzessin Ann die Eröffnung.
Parken in Plymouth
Wir haben zuvor nach öffentlichen Parkplätzen und Tiefgaragen gegoogelt und entscheiden uns für den „Elphinstone Car Park“ direkt an der Waterfront, also an der Promenade. Die richtige Entscheidung – gegen 11.30 Uhr an einem Werktag, allerdings während der Frühlingsferien in Cornwall, sind noch einige Parkplätze frei. In Summe ist etwa Platz für 40 Autos, schätze ich. Bezahlen kann man entweder am Automaten oder mit der App „RinGo“, die wir zuvor auch schon in Tavistock benutzt hatten. Solche Park-Apps kennen wir bereits aus den skandinavischen Ländern – dort, genauso wie hier in Cornwall, ist es beinahe überall möglich, damit zu bezahlen. Wir bezahlen im Voraus sechs Pfund für sechs Stunden. Auf dem Parkplatz gibt es öffentliche Toiletten, die man für 50 Pence benutzen kann. Wir haben aber auch direkt an der Waterfront und am Hafen immer wieder freie Parkplätze gesehen, die Parkplatzsituation scheint nicht so katastrophal zu sein wie in anderen Städten dieser Art, vielleicht haben wir aber auch einfach einen guten Tag erwischt.
Erstmal was essen
Unsere Devise: Auto abgestellt, erstmal was essen. Direkt oberhalb des Parkplatzes liegt das „Dutton’s“, das ich wirklich empfehlen kann. Der Außenbereich ist mit typischen Picknick-Tischen aus Holz bestückt, bei denen die Bänke direkt am Tisch befestigt sind. Er ist einfach gehalten, liegt in der Sonne und man hat einen wunderbaren Blick auf eine Meeresbucht des Ärmelkanals („Plymouth Sound“). Denn das Restaurant liegt auf „The Hoe“ (ja, heißt wirklich so), einem Kalksteinplateau, auf dem unter anderem auch eine Zitadelle und ein (ehemaliger) Leuchtturm stehen. Das Dutton’s macht einen klassisch-englischen Eindruck, es gibt Gerichte wie Full English Breakfast oder Fish and Chips. Das Tolle: Beide Gerichte werden auch in der Veggie-Version angeboten. Nicht selbstverständlich. Statt Fisch gibt’s Haloumi-Stücke im Backteig. Klar, nicht dasselbe, aber eine nette Alternative. Dazu gibt es Außerdem stehen zwei vegane Burger auf der Karte, es gibt Kuchen und sogar für Hunde gibt’s zwei „Gerichte“ – Würstchen und Eiscreme.
Nach dem Essen schlendern wir die Promenade entlang. Quasi direkt oberhalb des Restaurants liegt die erwähnte Zitadelle, die allerdings nur im Rahmen von Führungen zugänglich ist. Sie dient immer noch als Standort einer Einheit der Royal Artillery. Entlang der Promenade sind ein Haufen Cafès angesiedelt, wenige hundert Meter nach der Zitadelle gibt’s allerdings ein besonderes Highlight: den „Tinside Pool“. Ein gigantisches rundes Becken mit hellblauem Wasser ragt mitten in die Bucht des Ärmelkanals. Darin tummeln sich dutzende Menschen, entlang des Pools führt ein weiß getünchter Vorsprung, auf dem sich die Badegäste sonnen können, einige Liegen stehen daneben. Obwohl es „nur“ 20 Grad hat, ist das Schwimmbad gut besucht und man kriegt direkt Lust, mit zu baden. Neben dem Schwimmbad gibt es übrigens auch einen „natürlichen“ Zugang zum Meer. Ein paar Mutige baden, einige paddeln auf ihren Paddleboards zu den Sonnen-Plattformen, die im Meer befestigt sind. Die Atmosphäre ist entspannt, die ganze Promenade erinnert mich irgendwie an Californien – hier und da stehen Palmen, die Menschen haben gute Laune, im Hintergrund stehen Reihenhäuser. Naja, zumindest stelle ich mir Californien so vor, da gewesen bin ich nämlich noch nicht.

Der Hoe-Park und die Pilgerväter
Wiederum oberhalb des Schwimmbaden steht ein rot-weiß gestreifter Leuchtturm, der „Smeaton’s Tower“, der auch gleichzeitig den Eingang zum „Hoe-Park“ markiert. Der Leuchtturm wurde 1759 fertiggestellt, war allerdings nur knapp über 100 Jahre in Gebrauch. Dann musste er von seinem ursprünglichen Standort, den Eddystone Rocks, einer Felseninsel vor Plymouth, entfernt werden. Er hielt den Einflüssen des Meeres und des Windes nicht mehr Stand, wurde zu großen Teilen abgebaut und dort wieder errichtet, wo er heute steht. In Gebrauch ist er nicht mehr. Der Hoe-Park beheimatet mehrere Kriegsdenkmäler, geehrt werden vor allem gefallene Navy-Angehörige. Auf großen Rasenflächen sonnen sich Menschen, quatschen oder spielen Fußball. Und genau das machen wir auch – uns sonnen, nicht Fußball spielen. Zum Glück haben wir an eine Picknickdecke gedacht.



Die Innenstadt ist nicht sonderlich sehenswert, zumindest nicht der kleine Teil, den wir uns anschaut haben. Ein paar Geschäfte säumen eine Einkaufsstraße, auf der einige Baustellen liegen. Was mir auffällt: Die großen, namhaften Modeketten sind nicht vertreten. Nach einer (wirklich kurzen) Weile machen wir uns auf Richtung Hafen, der von einigen wunderschönen mit Kopfstein gepflasterte Gassen liegen umgeben wird. Natürlich gibt es Fish-and-Chips-Läden, Candy Stores mit Fudges und natürlich einen kleinen Souvenir-Shop – und wieder eine öffentliche Toilette, auch immer gut zu wissen. Wir bestellen Kaffee und frische Donuts, die es im Fünfer- oder im Zehnerpack zu kaufen gibt, an einem kleinen Retro-Stand und setzen uns in die Sonne.








Danach schlendern wir langsam zurück zum Auto. Auf dem Weg dorthin passieren wir einen steinernen Bogen, der von einer britischen und einer amerikanischen Flagge flankiert ist – der Startpunkt der Mayflower. Dem einen oder der anderen ist sie sicher ein Begriff, mindestens aus dem Geschichtsunterricht. 1620 stachen die „Pilgerväter“ mit der Mayflower in Plymouth in See. Das Ziel? Amerika. Dort wollten sie ein neues Leben beginnen und so entstand das heutige Massachusetts, das die Engländer*innen im März 1621 besiedelten und „Plymouth Colony“ tauften. Das war übrigens nicht die erste Besiedlung Nordamerikas durch Europäer*innen – die fand bereits 1538 in St. John’s, Kanada, statt – ebenfalls durch die englische Krone.





Bevor wir zurück zur Unterkunft fahren, geht’s nochmal ins Dutton’s, wo wir den Tag mit Eistee in der Sonne ausklingen lassen – die Lage hat mich absolut verzaubert. So ein kaltes Getränk in der Sonne, 20 Grad und eine gute Brise, wie es sich für eine Küstenstadt gehört, haben schon was. Insgesamt haben wir fünf entspannte Stunden in Plymouth verbracht, ein Besuch lohnt sich allemal. Beim nächsten Mal aber inklusive Schwimmbecken. (Spoiler-Alarm: Das nächste Mal war zwei Tage später – inklusive eingelöstem Versprechen. Mehr dazu im nächsten Absatz.)




Zwei Tage später …
Tinside Lido: Ein altes Meerwasser-Schwimmbad
Gesagt, getan. Zwei Tage später fahren wir bei herrlichem Sonnenschein erneut nach Plymouth. Bevor wir schwimmen gehen, geht’s – na klar – ins Dutton’s. Diesmal gibt es für uns jeweils einen Breakfast Bun, einmal mit Würstchen, einmal mit Halloumi. Aber darum soll es in diesem Abschnitt nicht gehen.
Im Vorfeld haben wir gelesen, dass es ratsam sei, sich für das Tinside Lido online anzumelden. Ich hatte damit begonnen, aber dann die Lust verloren, weil die Seite eher mäßig gut programmiert war und wirklich viele Angaben erforderlich waren – parallel hatte ich in den Google-Rezensionen gelesen, dass es auch ohne Vorab-Anmeldung funktioniere. Und so war es auch. Die Kassiererin fragte, ob wir uns angemeldet hatten. Nein? Allright. Macht dann 5,80 Pfund pro Person. Das war leicht. Betritt man das Gebäude, merkt man schnell, dass es aus einer anderen Zeit stammt. Daran erinnern nicht nur die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Schwimmbades, die in dem gefliesten Treppenhaus hängen, das runter zum Becken führt. Eben dieser Fließen-Look, der Schriftzug über dem Eingang – beides wirkt einfach nicht mehr ganz zeitgemäß. Die Infotexte neben den Fotos verraten mehr über die Geschichte des Bades und dessen Umgebung.
Von der Badekarre zum Art-Deco-Schick
Um 1800 begannen die Menschen erstmals an der Küste von Plymouth zu baden – damals mit sogenannten bathing machines, auf Deutsch: Badekarren. Das waren fahrbare Umkleidekabinen, quasi hölzerne Häuschen auf Rädern und mit Griffen. Sie sorgten dafür, dass Frauen und Männer getrennt voneinander baden konnten, denn gemeinsames Baden kam damals nicht infrage. Innerhalb einer solchen Badekarre war meist Platz für eine Handvoll Menschen. Die Frauen oder Männer betraten die Karren in Alltagskleidung und zogen sich darum um. Meist wurden die Karren dann mit einem Pferd oder auf eigens erbauten Schienen ins etwas tiefere Wasser gezogen – dort verließen die Menschen die Kabine und badeten, manchmal sogar unter einer aufgespannten Plane. Die Karre selbst schützte während des Badens vor Blicken des anderen Geschlechts. Um 1830 wurden erste offizielle Strände „eingerichtet“, an denen allerdings nur Männer baden durften. Über die Zeit wurde die Küstengegend immer weiter erschlossen. Badeanstalten wurden erbaut, Stufen wurden in die Klippen geschlagen. Die gesetzliche Geschlechtertrennung beim Baden endete in Großbritannien 1901. Eröffnet wurde der das Tinside Lido im Art-Deco-Stil 1935 – ohne Geschlechtertrennung.



Im Jahr 1991 wurde das Bad aufgrund sinkender Besucher*innen-Zahlen geschlossen, bevor es nach aufwändiger Renovierung im Jahr 2005 wieder eröffnet wurde. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Ich will ehrlich sein: Das Bad war okay. Optisch macht es auf jeden Fall einiges her, wie es da so hellblau und schillernd in den dunklen Ozean ragt. Aber: Es war unglaublich windig und damit sehr kühl, zumindest auf den weiß getünchten Bänken, die das kreisförmige Becken umgeben. Wir haben drei Mal den Platz gewechselt, bis wir uns schließlich zwei Liegestühle, die das Bad verleiht, geschnappt haben und uns damit vor den Betonbau gesetzt haben. Dort saßen wir windgeschützt und es war angenehm warm, allerdings machen zwei Stühle auf Betonboden vor einer Betonwand natürlich nicht allzu viel her. Und da der Pool mit Meerwasser gespeist wird, war es natürlich auch sehr kalt. Einen Besuch ist das Becken sicher Wert, ein Muss, wenn man in Plymouth ist, ist es aber nicht.
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